Sorgsam greife ich nach meinem Wahlbescheid und halte ihn fest in meiner rechten Hand. Die Brieftasche mit dem Personalausweis stecke ich in die Hosentasche. Ich ziehe meine Jacke und die Schuhe an. Mutter und ich steigen ins Auto. Nachdem ich ihr gesagt habe, dass heute Wahl ist, will sie nun auch wählen gehen.
Die Fahrt über herrscht schweigen. Auf dem Parkplatz angekommen, schaltet sie den Motor des Kraftfahrzeugs aus und schaut mich an. "Was wähle ich denn jetzt?" Fragt sie mich. Mich, den 18 jährigen Sohn. Den Erstwähler.
"Warum fragst du mich das?"
"Ich habe mich nicht so damit beschäftigt. Also... CDU?"
Ich ziehe eine Augenbraue hoch.
"Die wollen nicht, dass ich heiraten kann."
"Das ist ein Argument. Wer will das denn?"
"Alle anderen."
"Das schränkt die Wahl ja nicht sonderlich ein. Und diese AfD?"
Ich ziehe die zweite Augebraue hoch.
"Kann man die wählen?"
Ich schüttel energisch den Kopf.
"Naja, dann müssen wir ja was Linkes wählen. Ist ja auch nicht schlecht. Erzähl das aber bloß nicht deiner Oma."
Ich nicke und wir steigen aus dem Auto. Das alte Ehepaar, das kurz nach uns auf dem Parkplatz eingetroffen ist, schleppt sich bereits wieder Richtung A-Klasse. Wir betreten unser Wahllokal, das beschauliche Gemeindehaus mit den türkisen Tür-und Fensterrahmen. Im Vorraum stehen zwei weitere alte Ehepaare. Die beiden Frauen liegen sich in den Armen.
"Das ist ja schön, dass ich dich mal wieder gesehen habe Gerda. Machs gut."
Ja, sie hieß wirklich Gerda.
Im Wahlraum angekommen, sitzen dort vier Personen an einem langen Tisch. Ich überreiche ehrfürchtig meinen Wahlbescheid und meinen Personalausweis.
"Danke, den brauche ich nicht."
Natürlich brauchen sie den, es steht auf dem Wahlbescheid drauf, ich habe ihn mir extra durchgelesen, sogar mehrfach. Immer und immer wieder. Da steht es schwarz auf weiß: Bringen sie diesen Wahlbescheid und ihren Personalausweis mit in ihr örtliches Wahllokal.
Ich erhalte meinen Zettel und verschwinde in einer der "Kabinen", welche aus einem halbkreisförmigen Stück Pappe auf einem Tisch und einem Stuhl bestehen. Sorgsam lese ich mir die Namen durch. Einige höre ich zum ersten Mal. Doch ich habe mich bereits entschieden, will diesen Moment nur wirken lassen. Langsam greife ich nach dem, mit Paketschnur gesicherten Kugelschreiber und mache meine zwei Kreuze.
Ich schaue zu meiner Mutter rüber, die bereits ihren Zettel faltet. Ich tue es ihr gleich, steige von meinem Stuhl und stecke meine Wahl in die Urne. Der Bürgermeister steht auf einmal an dem langen Tisch. Ich und meine Mutter grüßen, es kommt kein Gruß zurück.
Seine Partei wird bei dieser Wahl das schlechteste Ergebnis seit ihrer Gründung erleben.
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